Eine umfassende Ausschreibung. Verschiedene Phasen und Gewerke. Ein großer Zeitstrahl. Am Ende steht ein neues Portal für die Stadt.

Allerdings erwarten alle Beteiligten heutzutage mehr von einem Stadtportal als behördliche Informationen. Bürgerinnen und Bürger wünschen sich digitale Services und blitzschnellen Zugriff auf alle wichtigen Inhalte. Das gibt auch das OZG vor. Und das oft dezentrale Redaktionsteam muss große Mengen an hochwertigem Content in kurzer Zeit online bringen und braucht dafür die richtigen Werkzeuge – größere Städte bringen es schnell auf über 50.000 Seiten. Verschiedene Abteilungen haben ihre eigenen Anforderungen und Interessen. Zudem will sich die Stadt gesamtheitlich als starke Marke kommunizieren.

Die wichtigste Frage:

Klappt das eigentlich noch mit der klassischen „Wasserfall“- Herangehensweise? Nach dem Prinzip: Ausschreibung, dann Konzeption, dann Design, dann Programmierung, dann Inhalte, dann Go-live, dann Projekt abhaken?

„Heute spielen agile Prozesse auch bei Städteportalen eine entscheidende Rolle“, meint Christoph Kremers, Senior Project Consultant bei die firma und zuständig für den Bereich Stadtportale. Mit seinem Team hat er unter anderem die Internetauftritte von Stuttgart, Kassel, Bonn und Wiesbaden umgesetzt.

„Ideal ist es, wenn schon bei der Erstellung der Ausschreibung UX-Experten zu Wort kommen, so lässt sich oft in der Projektphase viel unnötige Arbeit vermeiden.“

Dabei geht es nicht um neue trendige Methoden zum Selbstzweck, sondern um die Erfüllung heutiger Anforderungen an Webportale, die anders sind als noch vor ein paar Jahren. Denn um ein Stadtportal auf die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger auszurichten, braucht es den engen Dialog zwischen allen Beteiligten über die Projektphasen hinweg. Dazu gehört auch die frühzeitige Einbindung verschiedener Disziplinen.

Ideal ist es, wenn schon bei der Erstellung der Ausschreibung UX-Experten zu Wort kommen, so lässt sich oft in der Projektphase viel unnötige Arbeit vermeiden. Dabei geht es auch um die Investitionssicherheit der oft kostspieligen Projekte.

Dabei ist es wichtig, Rücksicht auf interne Strukturen und Abläufe zu nehmen, so Kremers: „Wir können und wollen niemandem bestimmte Methoden aufzwingen – am Ende zählt das Ergebnis. Wir nutzen unsere Erfahrung, neue Wege der Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten aufzuzeigen und im Rahmen der gegebenen Strukturen umzusetzen.“ Dazu gehört neben der engen Abstimmung aller Beteiligten insbesondere die frühzeitige Einbindung der Bürgerinnen und Bürger.

Ein ganz wichtiges Element in der Entwicklung von städtischen digitalen Angeboten ist folgerichtig der „Nutzerrat“. Dieser setzt sich aus Bürgerinnen und Bürgern zusammen und begleitet die Entwicklung des Stadtportals. Mitglieder des Nutzerrats testen zum Beispiel Prototypen, um Schwächen in Benutzerführung, Design und Serviceangebot aufzudecken. Oftmals führt dies zu wichtigen Erkenntnissen und notwendigen Anpassungen.

Bei der Entwicklung des Auftritts von Stuttgart führte das Team zwei Usability-Tests durch:

  1. Im ersten Test wurden die Rahmenbedingungen überprüft und die entwickelten Persona-Profile der Primärzielgruppen validiert. Navigationssystematik, Farben, Benutzerführung – entspricht das den Anforderungen, wird alles verstanden? Wo gibt es Änderungsbedarf?

  2. Beim zweiten Test ging es um das Durchspielen verschiedener Use Cases: Bürger A möchte Service X nutzen – kann er den Prozess schnell und zielsicher abschließen? Diese Tests wurden zum Teil vor Ort im Rathaus durchgeführt, zum Teil ortsunabhängig mit Online-Tools.

Stuttgart Personas

Stuttgart Testing

Die agile Herangehensweise in den verschiedenen Projektphasen und die Usability-Tests waren ausschlaggebend, um flexibel neue Anforderungen in das Projekt integrieren zu können und die neue Website an den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer auszurichten.

Janette Seiz

Leiterin Online-Kommunikation, Landeshauptstadt Stuttgart

Beim Auftritt von Städten im Internet hat der Nutzerrat auch eine politische Bedeutung. Stichwort Bürgerengagement: Wenn frühzeitig Menschen aus verschiedenen Gruppen eingebunden werden, entsteht ein „bürgernahes“ Angebot. Das hilft beim Perspektivwechsel weg von der Orientierung an internen Strukturen hin zur Nutzersicht, was auch den Vorgaben des Onlinezugangsgesetzes (OZG) entspricht. Das bedeutet auch, dass diese Stimmen ebenso in späteren Projektphasen berücksichtigt werden müssen – was wiederum agiles Arbeiten erfordert.

Von Markenführung und Redakteuren

Beim Thema Markenführung von Städten ist einiges zu beachten. So haben viele Städte Unterauftritte („Microsites“) beispielsweise für Kultureinrichtungen. Das Design- und Brandingkonzept sollte es ermöglichen, dass diese einen eigenen Markenauftritt im Rahmen der Markenarchitektur der Stadt umsetzen können. Dieser Prozess muss einfach sein und darf nicht zu viele Ressourcen binden. Gleichzeitig benötigen kulturelle Einrichtungen und andere städtische Institutionen genügend Freiraum, ihre eigene Identität als Marke zu transportieren. Das sollte im Designkonzept und in der technischen Umsetzung berücksichtigt werden.

Stuttgart Markenführung 01

Markenführung 02

Markenführung 03

Apropos Ressourcen: Die redaktionelle Betreuung eines Städteportals ist heute eine enorme Herausforderung. In Stuttgart arbeiten rund 150 Menschen an der Pflege und Erstellung von Inhalten. Auf ihre Anforderungen ist im gesamten Prozess Rücksicht zu nehmen, damit in Zukunft alles rund und effizient läuft. Dazu gehören auch Schulungen und eine umfassende, leicht zugängliche Dokumentation des Systems mit Tipps und Empfehlungen. „Wir empfehlen ganz klar, die Nähe zu den Redakteuren zu suchen, sie mitzunehmen und auch zu schulen. Das macht einen großen Unterschied“, sagt Christoph Kremers.

Beispielsweise arbeiten im Falle von Stuttgart rund 150 Menschen an der Pflege und Erstellung von Inhalten.

Stuttgart Screens

Erfolg von der Ausschreibung bis zum Go-live und darüber hinaus

Es gibt mehrere mögliche Konstellationen für die erfolgreiche Umsetzung eines modernen Städteportals. Manche Projekte haben wir durchgängig begleitet und verschiedene Disziplinen aus einer Hand angeboten. Bei anderen waren wir für Teilbereiche zuständig, etwa die Markenführung und die User Experience. Unabhängig von der Form der Zusammenarbeit ist aus unserer Sicht eine clevere Ausschreibung sehr wichtig.

Stuttgart Scribbles 02

Projektphasen sollten zeitlich nicht strikt voneinander getrennt werden, da gerade an den Schnittstellen etwa zwischen Design und Entwicklung oder zwischen Inhalte-Erstellung und Usability eine Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten unentbehrlich ist. Wenn die beteiligten Dienstleister schon zusammengearbeitet haben und ein Team bilden – umso besser. Empfehlenswert ist es, schon bei der Erstellung der Ausschreibung Experten aus den verschiedenen Bereichen mit ins Boot zu holen.

Probleme können bei Ausschreibungen dann entstehen, wenn nicht alle wichtigen Aspekte moderner digitaler Ökosysteme berücksichtigt werden, also beispielsweise die Entwicklung der Nutzerperspektive, Schulungen von Redakteuren oder das Zusammenbringen von digitalen Services, Benutzerführung und internen Strukturen.

So lässt sich manchmal auch viel Zeit und Geld sparen – etwa wenn das Designteam gezielt für das verwendete CMS entwirft. Auch spielen Design, Inhalt, Projektziele und politische Entscheidungen eng zusammen: Kommt Sport noch vor Kultur? Oder brauchen wir den Menüpunkt überhaupt in der Hauptnavigation? Und was heißt das für Benutzerführung und Design? Hier ist eine enge Zusammenarbeit über Disziplingrenzen hinweg gefragt.

Städte und Gemeinden sollten großen Wert auf eine fluide, mit persönlichem Austausch gekennzeichnete Ausschreibung legen und auch die Zeit nach dem Go-live im Blick haben. Ein kaskadiertes, simples Abarbeiten eines Lasten- und Pflichtenheftes geht an der Realität heutiger Ansprüche vorbei. Die Einbindung von UX-Experten schon vor der Ausschreibung hilft, teure Probleme oder starre Strukturen in späteren Phasen zu vermeiden.

Der Relaunch eines Städteportals ist mit viel Aufwand verbunden. Wenn aber Bürgerinnen und Bürger und Verwaltung glücklich sind und die Redakteure auch lange nach dem Go-live des neuen Auftritts schnell für hochwertige und ansprechende Inhalte sorgen können, wird die Investition auch in der schnelllebigen digitalen Welt noch lange Bestand haben.